Stephanie Lottermoser ist eine der gefragtesten deutschen Jazz-Saxophonistinnen - und eine der wenigen Frauen auf den großen Bühnen rund um die Welt. Was sie bei ihren Auftritten trägt, passt nicht nur zur Kraft ihrer Musik. Ihre Outfits sind auch Zeichen selbstbewusster Femininität und Unabhängigkeit. Ein Gespräch über Gleichberechtigung, Vorurteile und weibliche Rolemodels.
HAEDREN: Stephanie, Du spielst Konzerte rund um den Globus. Erzähl uns bitte: Wo kommst Du gerade her?
Stephanie Lottermoser: Aus der Karibik. In der Dominikanischen Republik habe ich eine Woche lang Konzerte gespielt und an der Universität in Santo Domingo eine Masterclass gegeben. Ich bin also noch voll im Jetlag.
HAEDREN: Wie viele Tage im Jahr bist Du unterwegs?
SL: Wahrscheinlich irgendetwas zwischen 50 und 60 Prozent. Genau kann ich das gar nicht sagen.
HAEDREN: Du bist nicht nur Künstlerin, sondern managst Dich auch noch selbst. Warum?
SL: Tatsächlich ist mein Job jenseits vom reinen Musikmachen im Laufe der Jahre immer arbeitsintensiver geworden. Die Musikbranche hat sich sehr verändert, durch die Streaming-Portale sind den Plattenfirmen Einnahmequellen weggebrochen und in den Aufbau von Künstler:innen wird viel weniger investiert. Es wird erwartet, dass man Vieles selber macht. Und irgendwie wollte ich mich auch immer schon unabhängig machen davon, dass andere Leute irgendwas für mich tun und ich immer nachfragen muss, ob jemand etwas schon erledigt hat und was die nächsten Schritte sind. Ich habe mich deshalb zum Beispiel entschieden, das Booking selbst zu übernehmen. Weil ich aber sehr viele Konzerte spiele und spielen möchte, ist das sehr zeitintensiv.
HAEDREN: Wie schaffst Du es, alles unter einen Hut zu bringen?
SL: Ich liebe einfach, was ich tue - das ist eigentlich der Hauptgrund, warum auch weniger Freizeit für mich in Ordnung geht und es mir eigentlich auch nicht auffällt, dass ich sehr wenig Freizeit habe.
Eine der wenigen weiblichen Jazz-Instrumentalistinnen: Saxophonistin Stephanie Lottermoser in einem HAEDREN Anzug in Caramel
HAEDREN: "In-Dependence" lautet der Titel Deines neuen Albums. Keine:n Manager:in zu haben ist also für Dich auch Teil deiner Unabhängigkeit?
SL: Auf jeden Fall. Auf der anderen Seite hängt es auch damit zusammen, dass - ich würde mal schätzen - in der Musikbranche in Deutschland an die 80 Prozent Männer tätig sind. Viele Entscheidungspositionen in der Musikwirtschaft oder genauer gesagt im Jazzbereich in Deutschland sind von Männern besetzt, die noch dazu älter sind als ich. Ich habe den Eindruck, dass ich einen "jüngeren" Blickwinkel auf Vieles habe.
HAEDREN: Auch musikalisch?
SL: Insgesamt war mir einfach wichtig, für mich selbst herauszufinden, welche Art von Musik ich machen möchte und wo ich damit hin möchte. Natürlich hole ich mir Ratschläge - auch von Männern, zum Beispiel vom Chef meiner Plattenfirma, Joachim Becker, mit dem ich sehr gut zusammenarbeite. Aber ich hatte auch das Gefühl, ich muss für mich meinen Weg finden und ich wollte nicht, dass er von Leuten bestimmt wird, die die Situation einer Frau im Musikbereich heutzutage oder auch in der Gesellschaft generell eventuell gar nicht einschätzen können. Bisher bin ich, glaube ich, ganz gut damit gefahren, aber halte es trotzdem nicht für ausgeschlossen, in Zukunft bestimmte Zusammenarbeiten einzugehen. Es muss einfach passen.
HAEDREN: Der Album-Titel "In-Dependence" beinhaltet ein Wortspiel: Wörtlich übersetzt bedeutet er "Unabhängigkeit", aber auch "In Abhängigkeit". Wie kam es dazu?
SL: Unabhängigkeit als Begriff hat mich und meinen Werdegang als Musikerin sehr geprägt. Es kam mir trotzdem zu einfach vor, das Album nur "Unabhängigkeit" zu nennen, weil natürlich jede:r, mich inbegriffen, trotzdem in irgendwelche Systeme eingebunden ist, wenn man nicht gerade irgendwo auf dem Land in Subsistenzwirtschaft lebt. Komplette Unabhängigkeit gibt es aus meiner Sicht nur sehr selten. Und das ist es auch nicht, was ich mir für mich wünsche. Eine Balance halte ich für besser.
HAEDREN: Bist du als Musikerin und Jazz-Instrumentalistin mit Vorurteilen gegenüber Frauen konfrontiert?
SL: Auch wenn es inzwischen schon weitaus weniger Vorurteile gibt, muss man sich doch durch ein paar Themen durchbeißen. Zumindest musste ich das. Bei Konzerten oder Jam Sessions war ich früher oft die einzige Instrumentalistin und zusätzlich die süße kleine Blondine mit dem Saxofon. Man bekommt auf diese Weise viel Aufmerksamkeit, ohne danach zu fragen. Das ist auf eine Art und Weise schön, trotzdem hat man - finde ich - umso mehr die Aufgabe, erst noch zu beweisen, dass man diese Aufmerksamkeit auch verdient hat. Das Publikum möchte ja in erster Linie gute Musik hören. Als Frau kann man sich meiner Meinung nach oft weniger Fehler erlauben und wird viel kritischer beäugt.
"Auf der Bühne möchte ich das tragen, was die Bedeutung unterstreicht, die es für mich hat Musik zu machen." - Saxophonistin Stephanie Lottermoser - Weißer Damen-Suit by HAEDREN
HAEDREN: Geht es da aus Deiner Sicht immer nur um Äußerlichkeiten?
SL: Ich habe früher tatsächlich auch manchmal gehört, ich würde ja nur so viel gebucht, weil ich so aussehe, wie ich aussehe oder weil ich mir mehr Gedanken darüber mache, wie ich aussehe, wenn ich auf der Bühne stehe. Da ist neben Vorurteilen auch Neid im Spiel. Mittlerweile habe ich mich über all das gewissermaßen hinweggespielt und offenbar ändert sich für die nachfolgende Generation auch schon etwas.
HAEDREN: Es sind heutzutage ja immer noch deutlich mehr Männer auf den Jazz-Bühnen zu sehen als Frauen. Wie steht es aus Deiner Sicht um die Gleichberechtigung im Jazz?
SL: Das ist ein leidiges Thema. Bei Festivals zum Beispiel gibt immer noch Line-Ups, in denen keine einzige Instrumentalistin vertreten ist. Wenn man die Veranstalter:in darauf anspricht, hört man oft: Ja, aber wir haben doch eine Sängerin dabei. Das reicht aber nicht. Zu singen wird bei Frauen immer noch als sehr viel selbstverständlicher angesehen als ein Instrument zu spielen, weil es eine viel längere Tradition hat oder jedenfalls eine längere Sichtbarkeit. Natürlich gab es auch immer schon Instrumentalistinnen, die sind aber weitaus seltener auf den großen Bühnen zu sehen gewesen. Hier besteht immer noch Handlungsbedarf. Wir Jazz-Instrumentalistinnen nehmen das ganz klar so wahr. Wenn wir das aber ansprechen, gelten wir sofort als zickig. Noch dazu gibt es sehr wenig Solidarität von den Männern aus der Szene, die natürlich auch nicht diskriminiert werden sollen. Vielleicht sind sie manchmal mit dem Thema auch überfordert, so wirkt es jedenfalls auf mich.
HAEDREN: Man hat Dir - nicht nur einmal - gesagt: "Du spielst wie ein Mann." Was sollte das aus Deiner Sicht bedeuten?
SL: Das haben immer nur Männer, genauer gesagt: begeisterte Konzertbesucher, zu mir gesagt. Es war einfach das größtmögliche Kompliment, das ihnen in dem Moment eingefallen ist. Meistens musste ich aber trotzdem erst einmal lachen. Ich habe mal entgegnet: "Schade, dass Sie nicht sagen, ich spiele wie eine Frau." Ich wollte schon subtil klarmachen, dass das nicht glücklich ausgedrückt war, auch wenn es gut gemeint war. Vor allem hat es mir gezeigt, wie wenig solche Leute es gewohnt sind, Frauen mit einem Instrument auf der Bühne zu sehen. Nach den Konzerten kommen auch oft Besucher zu mir und sagen: "Das ist ja Wahnsinn, dass so eine zarte Person so viel Kraft hat." Natürlich kann auch eine Frau ein großes Lungenvolumen haben. Man wird aber offenbar immer noch stark nach Äußerlichkeiten beurteilt. All das ist für mich ein Zeichen, dass Frauen mit Instrument im Jazz einfach noch viel selbstverständlicher werden müssen.
HAEDREN: Du hast einmal gesagt, dass es für Dich als Künstlerin viel bedeutet hat, weibliche Vorbilder auf der Bühne zu sehen, weil es lange gar keine weiblichen Rolemodels, also: weibliche Instrumentalistinnen, im Jazz gab. Wieso war das so etwas Besonderes für Dich?
SL: Die Platten, die ich früher gehört und von denen ich gelernt habe, waren hauptsächlich von Männern of Color, was auch einfach der Jazz-Tradition entspricht. Irgendwann habe ich dann Candy Dulfer entdeckt und war begeistert. Sie zieht sich auf der Bühne sehr sexy an und ist eine unglaublich gute Musikerin. Ihre Show ist wahnsinnig gut. Als ich früher die ersten Konzerte mit meiner Schulband gespielt habe, wäre ich nie auf die Idee gekommen, ein Kleid oder einen Rock anzuziehen. Ich dachte, ich falle ja als (meist einzige) Frau sowieso schon auf. Zu sehen, dass Frauen auf der Bühne auch ganz anders agieren können, auch mit dem Instrument, hat viel mit mir gemacht.
Stephanie Lottermoser bei einem Auftritt - "Frauen auf den Jazz-Bühnen müssen einfach noch viel selbstverständlicher werden."
HAEDREN: Was ist Dir bei der Kleidung, die Du auf der Bühne trägst, besonders wichtig?
SL: Sie muss unbedingt bequem sein, da ich mich viel bewege. Gleichzeitig mag ich Kleidung, die auffällt und irgendwie besonders ist hinsichtlich Schnitt, Stoff und Farbe. Die Bühne ist für mich wie ein heiliger Ort, an dem ich nicht meine Alltagskleidung tragen möchte, sondern eben etwas, das die Bedeutung unterstreicht, die es für mich hat, Musik zu machen.
HAEDREN: Du trägst sehr oft und gerne HAEDREN Hosenanzüge auf der Bühne und hast mir einmal erzählt, ein Anzug fühle sich für Dich wie eine Rüstung an ...
SL: Mir gefällt, dass ich durch die Schulterpartie eines Hosenanzugs größer und vielleicht auch präsenter auf der Bühne wirke, ich fühle mich stark darin und schätze auch die Bewegungsfreiheit, die ich mit einem Hosenanzug auf der Bühne habe. Ich fühle mich mit einem HAEDREN Anzug gut und sicher, das Material und die Passform sind einfach toll und er fühlt sich eben ein bisschen an, wie eine sehr angenehme Rüstung. Zudem verkörpert meine Bühnenkleidung idealerweise auch die Musik, die ich mache und unterstreicht sie. Mit einem Kleid und hohen Schuhen fühle ich mich eher zerbrechlich und nicht so geerdet, was natürlich auch ein bisschen klischeehaft klingt. Trotzdem fühle mich darin einfach nicht so wohl.
Stephanie Lottermoser trägt auf der Bühne und abseits davon nachhaltige Mode: "Qualität ist mir unheimlich wichtig. Lieber kaufe ich weniger, dafür hochwertig" - Day-Look mit einem Suit by HAEDREN
HAEDREN: Wie gehst Du mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Mode um?
SL: Mode generell ist eine tolle und sehr vielfältige Kunstform, und ich habe mich schon immer sehr dafür interessiert und begeistert, nicht nur auf der Bühne. Fast Fashion halte ich für ein großes Problem heutzutage, vor allem auch die Arbeitsbedingungen in der Herstellung und die Problematik der Altkleider-Entsorgung. Es landet einfazu zu viel im Müll oder wird dann auch noch ins Ausland transportiert. Mode ersetzt oft nahezu die Persönlichkeit nach dem Motto „Kleider machen Leute“. Es entsteht ein großer Druck, immer am besten und aktuellsten gekleidet zu sein. Verantwortlich dafür sind vermutlich die Modeindustrie, die Medien und die Konsument:innen gemeinsam. Ein großes und wichtiges Thema.
HAEDREN: Wie wichtig ist Dir selbst Qualität?
SL: Ich persönlich achte sehr auf die Qualität der Kleidung, die ich trage, und darauf, woher diese kommt. Lieber kaufe ich ein Teil weniger, dafür aber etwas Hochwertigeres.
HAEDREN: Zum Abschluss noch einmal zurück zur Musik: Das Saxophon fasziniert viele Menschen ja ganz besonders, weil es so ein sinnliches und trotzdem kraftvolles Instrument ist. Wie bist Du eigentlich dazu gekommen?
SL: Auch durch die Big Band an meiner Schule. Ich hörte damals ein Feature-Stück für Saxofon namens "Harlem Nocturne", einen Jazz-Klassiker. Das fand ich so schön, dass ich unbedingt genau dieses Instrument und auch genau diese Musik spielen wollte. Damals war ich 14. Vor meinem Musikstudium habe ich Kulturwissenschaften studiert und auch abgeschlossen, weil ich mir nach dem Abitur noch nicht sicher war, ob Musik mein Weg ist. Ein paar Jahre später war die Gewissheit aber da und ich musste es einfach probieren.
Das komplette Interview hören Sie bald in unserem Podcast "The Female Eye".
Fotos: Simon Heydorn