Bianca Stäglich, STILFRAGE

Business-Mode: "Frauen sollten sich Sichtbarkeit erlauben"

Das richtige Business-Outfit hilft uns, unserer eigenen Stimme und unserer Kompetenz Ausdruck zu verleihen - zumindest in der Theorie. Tatsächlich aber tun sich viele Frauen schwer, sich so zu zeigen, wie es ihnen und ihrer Persönlichkeit entspricht. Das geht anders: Bianca Stäglich, Stilberaterin und Gründerin von Stilfrage, hilft Frauen seit mehr als zehn Jahren dabei, (auch) im Job sichtbar zu werden. Im Interview erklärt sie, worauf es dabei ankommt und wie man wirklich nachhaltig einkauft.

HAEDREN: Der Name, unter dem man Dich als Stilberaterin findet, ist „Stilfrage“. Ist guter Stil überhaupt noch in Mode?

Bianca Stäglich: In jedem Fall würde ich mir wünschen, dass sich die Menschen wieder bewusster und damit stilvoller kleiden, etwa für einen Besuch in der Oper oder ein Abendessen in einem schönen Restaurant. Das Sich-Schönmachen ist doch eher selten geworden. Das ist einfach schade. Man kann so viel aus sich selbst herausholen.

Was ist aus Deiner Sicht überhaupt „guter Stil“?

Nur Fast Fashion anzuhäufen, fällt jedenfalls nicht darunter. Wenn man Stil hat, ist das wie ein Kompass in dem ganzen Überfluss, den die Mode anbietet. Dazu muss ich mich aber selbst gut kennen und auch wissen, was in meinem Kleiderschrank hängt. 

Es geht ja oft darum, was in einen gut sortierten Kleiderschrank gehört. Ich frage mich: Was sollte aus Deiner Sicht aus allen Kleiderschränken verschwinden?

(lacht) Das Bolero-Jäckchen. Ich sehe in so vielen Kleiderschränken Jahrzehnte alte verblichene Exemplare aus schlechtem Material. So ein Teil lässt uns nicht gerade vorteilhaft rüberkommen.

Du hast mal gesagt, eine gutsitzende Jeans und ein T-Shirt gehören auf jeden Fall zur Capsule Wardrobe, Blazer ebenso …

Ein gutsitzender Blazer zieht uns wie an einem imaginären Faden nach oben: Plötzlich bewegen wir uns viel aufrechter, die Schultern gehen nach hinten, man fühlt sich selbstbewusster. Ein guter Blazer ist einfach ein Allrounder, ich trage ihn zum Beispiel auch mal über einem Sommerkleid, was für manche erst mal überraschend ist. Aber auch beim Blazer ist es wie bei jedem Basic: Die Qualität muss stimmen und der Schnitt muss cool sein. Halbgute Kleidung lässt uns eben auch nur halbgut wirken.

Bianca Stäglich, STILFRAGE

Worauf achtest Du, wenn Du einen Blazer aussuchst?

Neben einem guten Schnitt und gutem Material muss er vor allem zur Figur und zur Proportion der Trägerin passen. Wo die Schulternaht aufhört, entscheidet z.B. darüber, ob der Oberkörper breiter oder schmaler wirkt. Die Länge sollte so gewählt sein, dass der Blazer an einer schmalen Stelle an der Hüfte endet. Beim Blazer-Ärmel gilt, dass er etwa eineinhalb Zentimeter oberhalb der Daumenwurzel aufhören sollte, damit Bluse oder Hemd noch zur Geltung kommen.

Gerade beim Blazer und beim Tailoring generell ist das traditionelle Schneiderhandwerk, die Tradition auch im Endprodukt sehr präsent. Wie wichtig ist Dir das textile Handwerk?

Ich bin selbst gelernte Schneiderin und war schon als Kind vom Handwerk fasziniert. In der Stilberatung nutze ich mein Fachwissen und vermittle es an meine Kundinnen, etwa was Verarbeitung und Schnitt angeht. Ich möchte in meiner Beratung ein Verständnis dafür aufbauen, worauf es bei guter Kleidung eigentlich wirklich ankommt. Und warum wir, wenn wir auf Qualität achten, auf die x Kollektionen verzichten können, die jedes der vielen Fast Fashion Labels Jahr für Jahr herausbringt. Immer mehr Frauen wollen ohnehin nicht mehr so viel Kleidung besitzen, weil sie das überfordert. Der Trend zur Capsule Wardrobe ist eine direkte Reaktion auf diese Überforderung.

Wichtiger Bestandteil an Deinem Nachhaltigkeitsverständnis ist auch, dass Du bei der Beratung Deiner Kundinnen immer auf Vorhandenem aufsetzt. Also: Was ist schon im Schrank? Erst dann wird geshoppt. Sind Deine Kundinnen da manchmal irritiert?

Nein. Meine Kundinnen staunen eher, wenn sie die vielen Outfits sehen, die ich mit ein paar wenigen Teilen aus ihrem Schrank herauszaubere. Viele haben sich sehr lange nicht mehr mit ihren Sachen und sich selbst beschäftigt und sind regelrecht blind geworden für das, was sie haben. Umso größer ist dann das Strahlen, wenn man daraus etwas Schönes macht.

Während der Pandemie hat alle Welt ausgemistet, aufgeräumt und reorganisiert. Hat die Pandemie unser Verhältnis zur Mode grundlegend verändert?

Das glaube ich nicht. Wer schon vor der Pandemie viel Wert auf Kleidung gelegt hat, hat das auch während der Pandemie getan. Und wer sich nicht so sehr für Mode interessierte, hat sicher nicht durch Corona damit angefangen. Definitiv aber gibt es viele Menschen, die sich mal wieder intensiv mit ihrem Kleiderschrankinhalt beschäftigt haben. Ich animiere persönlich gern dazu, auch im Homeoffice einen knalligen Lippenstift zu tragen oder sich generell gut anzuziehen. Warum auch nicht?

Wir haben uns durch Corona alle an bequeme Kleidung gewöhnt. Tragen wir auch künftig nur noch casual?

Nur Kleidung zu tragen, die funktional ist, reicht vielen nicht. Ich nehme auch eine Sehnsucht nach Werten wahr, die sich über Kleidung vermitteln. Second Hand Mode ist auch deshalb ein riesiges Thema. Ich persönlich liebe Second Hand. Es gibt so viel Schönes, was man aus der Vergangenheit neu interpretiert in die Zukunft bringen kann. 2021 war mein persönliches Vintage-Jahr: Ich habe letztes Jahr nichts Anderes gekauft.

Du berätst unter anderem Frauen, die z.B. nach der Babypause wieder zurück in den Beruf gehen und ihre Garderobe neu aufstellen. Was ist da wichtig?

Es kommt immer auf die persönliche Situation der Kundin an. Ein Thema kann zum Beispiel sein, dass sie weiblich wirken möchte, ohne zu niedlich rüberzukommen. Kleider und Muster sind hier überhaupt kein No-Go, im Gegenteil. Damit kann man wunderbar spielen. Im Mittelpunkt steht immer die Frage: In welcher Kleidung fühlt sich Frau selbstbewusst und stark?

Frauen in Führungspositionen haben ja noch einmal andere Ansprüche an ihre Kleidung.

Jedenfalls ist es nicht nötig, sich an die männlichen Kollegen im Management anzugleichen. Ich möchte mehr Weiblichkeit ins Business bringen. Und Weiblichkeit ist etwas anderes als Sexiness. Zu ermutigen, ein Kleid zu tragen, z.B. in Violett, gehört dazu. Entscheidend ist aber die Branche, Bank und Start-up sind grundverschiedene Umfelder. Frauen sollten sich – hier wie dort – Sichtbarkeit erlauben. Dass vielen das Selbstwertgefühl dafür fehlt, ist einfach traurig. Ich stärke meinen Kundinnen den Rücken und helfe ihnen, zu sich selbst zu stehen, Emotionen zuzulassen und ihre eigene Stimme im Zusammenspiel mit Kleidung zu finden.

Du hast Dich 2009 entschieden, dich als Stilberaterin selbstständig zu machen. Warum tust Du jetzt seit 12 Jahren immer noch das, was Du tust? Gibt es ein „Warum“?

Mir gefällt es einfach, Frauen „schön“ anzuziehen. „Schön“ meine ich überhaupt nicht oberflächlich, sondern es bedeutet für mich, eine Frau mit ihren ganz eigenen Kompetenzen und Werten sichtbar zu machen. Herauszuarbeiten, wer jemand eigentlich wirklich ist, hat so viel Spannendes.

 Bianca Stäglich, STILFRAGE

Du unterstützt Frauen damit ja buchstäblich jeden Tag. Wer unterstützt Dich? 

Mein Mann natürlich, und sonst habe ich viele gute Freundinnen, die mich auffangen und mit mir beratschlagen, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Mein berufliches Netzwerk ist aber genauso wichtig: Ich bin zum Beispiel bei „Frauen Verbinden“ engagiert. Wenn ich Fragen habe, finde ich hier viele tolle Frauen, die mich inspirieren und mir konkret Antworten geben.

Sich selbstständig zu machen ist ein großes Abenteuer. Da wechseln sich Momente großer Erfüllung schon mal ab mit Misserfolgen. Wie führst Du Dich da selbst durch? Stichwort: Self-Leadership.

Am Anfang habe ich jeden Auftrag und jede Anfrage angenommen, auch wenn das vielleicht nicht zu 100 Prozent zu mir gepasst hat. Gemeistert habe ich doch alles –  bei allen Selbstzweifeln. Einfach durchgehen und nicht drüber nachdenken – mit den Jahren kommt die Routine, die einem hilft, auch mal eine Durststrecke zu überstehen. Man muss an die Dinge glauben, die man sich vornimmt, ausprobieren und machen. Natürlich sollte alles im Verhältnis stehen, man sollte sich nicht finanziell übernehmen.

Da sind auch klare Ziele wichtig, oder nicht?

Das hört man oft (lacht). Aber für mich läuft es anders: Einen Masterplan habe ich nicht. Ich habe eher Flausen im Kopf, wie etwa die Stilfrage Akademie zu gründen. Inzwischen habe ich einfach so viel Wissen hinsichtlich Mode und Stil gesammelt, dass ich das gern weitergeben möchte. Zum Beispiel: Wie geht ein Kleiderschrank-Check? Oder: Wie bereite ich ein Personal-Shopping vor? 

Apropos Flausen: Welches Projekt kommt nach der Stilfrage Akademie? 

Ich träume schon lange davon, ein Buch über Stil, Individualität und Kleidung zu schreiben. Nächstes Jahr werde ich 50, mal schauen, was das Leben noch bringt. 

Interview: Tanja Braemer, HAEDREN Gründerin, Medien-Strategin und Journalistin / Fotos: Sven Stäglich

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